Rassismus an Musikhochschulen? Wissenschaftler legt Studie vor
Herr Riva, nach Ihrer Studie zum Rassismus in deutschen Kinderliedern – wie etwa dem Lied „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ – legen Sie jetzt eine neue Untersuchung vor. Sie haben sich mit „Rassistischen Diskriminierungserfahrungen schwarzer Studierender an Musikhochschulen in Deutschland“ beschäftigt. Und Sie sind offenbar fündig geworden. Es scheint Rassismus an Musikhochschulen zu geben.
Ja, den gibt es, wie es Rassismuserfahrungen schwarzer Menschen ja überall im Alltag gibt. Mich hat durchaus überrascht, dass es Rassismus auch an Musikhochschulen gibt, an Orten also, die international ausgerichtet sind und an denen Verständigung über nationale Grenzen hinweg immer ein wichtiges Thema ist. Ich hatte gedacht, dass es an diesen Orten anders wäre.
Das ist es aber offenbar nicht.
Nein. In den Interviews, die ich geführt habe, stellt sich das ganz anders dar. Die schwarzen Personen, mit denen ich gesprochen habe, berichteten von diskriminierender Behandlung durch das Lehrpersonal und sie berichteten auch davon, dass sie von ihren Kommilitonen diskriminiert worden sind. Immer wieder haben sie Situationen erlebt, in denen sie ausgegrenzt worden sind. Das hat sie belastet und an ihrem Studienerfolg behindert.
Vielleicht sind Musikhochschulen aber auch Orte besonderer Konkurrenz, in denen Ausgrenzung passiert – ohne dass das mit Rassismus begründet werden müsste.
Ich glaube, allen, die sich an einer Musikhochschule bewerben, ist klar, dass es sich hier um einen Ort großer Konkurrenz handelt, schließlich gibt es am Ende nur wenig Arbeitsplätze für ganz wenige hoch talentierte Absolventinnen und Absolventen. Aber wir haben es hier auch mit einer strukturellen Diskriminierung zu tun. So müssen etwa Leute, die aus Ländern kommen, die nicht zur Europäischen Union gehören, hier ein Sperrkonto einrichten, auf das sie mehr als 11.000 Euro einzahlen müssen. Das ist eine große Benachteiligung, weil sie wahnsinnig viel Zeit damit verbringen müssen, dieses Geld aufzutreiben.
„Studierende aus dem globalen Süden haben es besonders schwer“
Aber das trifft doch alle Studierenden aus nicht europäischen Ländern. Wieso soll das ein besonderes Problem schwarzer Studierender sein?
Studierende aus Ländern des globalen Südens haben es besonders schwer, diesen Betrag aufzubringen. Wenn man aus Kanada kommt, ist das etwas ganz anderes.
Die Erfahrung von Diskriminierung machen wahrscheinlich auch Studierende aus vielen anderen Ländern, etwa Asiatinnen und Asiaten. Wäre es nicht angemessener, Diskriminierungserfahrungen von Studierenden allgemein zu untersuchen? Denn vielleicht liegt ja in der Beschränkung der Untersuchung auf schwarze Studierende auch die Gefahr der Reproduktion von Rassismus?
Der große Unterschied von schwarzen Studierenden zu anderen Studierenden an Musikhochschulen liegt darin, dass nur sehr wenige Schwarze an den Hochschulen studieren. Sie haben nicht die Möglichkeit, eine Gruppe zu bilden und sich gegenseitig zu unterstützen. Das ist ganz anders als bei den Studierenden aus China, Japan oder Südkorea. Außerdem handelt es sich bei schwarzen Studierenden um eine transnationale Gruppe. Einige sind in Deutschland geboren, andere in Amerika oder Afrika. An den Hochschulen werden sie aber auf einmal einheitlich als Schwarze behandelt.
Immer wieder Anspielungen auf die Hautfarbe
In Ihrer Studie berichten Sie auch von Mikroaggressionen, denen sich schwarze Studierende ausgesetzt sehen. Wie dramatisch schätzen Sie ihre Situation ein?
Die Situation ist dramatisch, weil die Studierenden Mikroaggressionen wie Anspielungen auf ihre Hautfarbe immer wieder und oft auch von ganz unerwarteter Seite erleben. Ich habe in meiner Studie mit Personen gesprochen, die Auftrittsängste entwickelt haben oder eine längere Auszeit nehmen mussten. Wichtiger aber sind die strukturellen Benachteiligungen, denen schwarze Studierende an den 24 Musikhochschulen in Deutschland ausgesetzt sind.
Welcher Art sind diese strukturellen Benachteiligungen?
Neben den finanziellen und den sprachlichen Benachteiligungen gibt es auch eine strukturelle Benachteiligung, die das Studienangebot betrifft. Viele Studierende, die aus Afrika oder Südamerika kommen, haben in ihren Herkunftsländern nicht die Möglichkeiten einer Musikerziehung genossen, wie es sie hier gibt. Ihre musikalische Ausbildung war ganz anderer Art. Das Potenzial, das sie haben, können sie hier gar nicht anwenden. Ihre musikalischen Kenntnisse sind hier nicht Bestandteil des Musikstudiums. Der eurozentristisch ausgelegte Unterrichtsstil verhindert hier die Förderung von großem musikalischem Potenzial.
Lehrpläne ändern? „Unbedingt“
Sollten deshalb die deutschen Musikhochschulen ihre Lehrpläne ändern?
Unbedingt. Das ist dringend notwendig. Und das Problem der eurozentristischen Lehrpläne betrifft ja nicht nur die Studierenden, die zu uns kommen, es hat auch Auswirkungen auf die Musikpädagogik. Die Diversität der Musiklehrerinnen und Musiklehrer an deutschen Schulen müsste dringend geändert werden. Die Schulklassen sind ja schließlich auch schon divers. Wir haben Schulklassen mit einem hohen migrantischen Anteil, und wir brauchen Lehrerinnen und Lehrer, die mit verschiedenen Musikstilen der Welt vertraut sind.
Was müsste noch geschehen?
Ganz wichtig sind Kurse zu Antidiskriminierung, Antirassismus, Gender-Studies, Diversity-Studies und Postkolonialismus. Die Betroffenen erhalten so Möglichkeiten, um sich gegen rassistische Übergriffe zur Wehr setzen zu können.
Dieses Interview erschien zuerst bei der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“.