Rostock: Prozess gegen Ex-Heimchefin - So trickste Ani S. Krankenkassen aus
Diesmal machte die Angeklagte einen gesunden Eindruck. Aufmerksam verfolgt Ani S. den Prozess, macht sich Notizen und liest am Laptop ihrer Anwältin in den Akten. Die 37-jährige ehemalige Pflegeheimchefin muss sich seit Donnerstag vor dem Rostocker Landgericht wegen Betrugs verantworten. Zweimal fiel der Prozessauftakt aus, weil sich die Angeklagte krank meldete. Vergangene Woche ließ sie das Gericht dann in U-Haft nehmen.
Von 2012 bis 2015 soll S. mehrere Krankenkassen um insgesamt 1,8 Millionen Euro betrogen haben. In ihrem Pflegeheim in Krakow (Landkreis Rostock) arbeiteten ungelernte Aushilfen statt der erforderlichen Fachkräfte. Die vorgeschriebene Pflegedienstleitung existierte nur auf dem Papier. Unter diesen Umständen hätte S. das Heim gar nicht betreiben dürfen. Zwar gab es mit Birgit M. eine Mitarbeiterin mit der nötigen Qualifikation. Die sprang aber lediglich für Nachtschichten am Wochenende ein, auf Honorarbasis. Normalerweise arbeitete die heute 47-Jährige in Vollzeit in einem Sanitätshaus. Das sie von Ani S. als Pflegeverantwortliche ausgegeben wurde, wusste sie nach eigenen Angaben nicht.
Insgesamt betrieb sie drei Heime
„Ich glaube, du bist hier die Leiterin“, habe eine Kollegin eines Tages zu ihr gesagt, schilderte die Krankenpflegerin, die am Donnerstag als Zeugin aussagte. Da sei sie stutzig geworden. Später bekam sie zu Hause Besuch von Ani S.. Die wollte sie nachträglich einstellen und bot ihr Geld, wenn sie gefälschte Dienstpläne unterschreibt. Der Schwindel war aufgeflogen, ein Prozess vor dem Sozialgericht stand bevor. Mit den gefälschten Unterlagen wollte sie einer Verurteilung entgehen. Vergebens: Birgt M. lehnte es ab, bei dem Betrug mitzumachen. S. verlor den Prozess, kurz darauf musste sie die Einrichtung schließen. Ihr Pflegedienst Elisa betrieb zwei weitere Heime in Güstrow, die 2016 wie das Haus in Krakow am See wegen katastrophaler Bedingungen vom Landkreis Rostock geschlossen wurden.

Sanitäterschein vom Bund statt Pflegeausbildung
„Es war ein Fass ohne Boden“, erklärte eine AOK-Mitarbeiterin, die ebenfalls als Zeugin geladen war, vor Gericht. Die Krankenkasse war im Auftrag aller Kassen für die Zulassung der Heime zuständig. Mitarbeiter und Angehörige von Heiminsassen wandten sich wiederholt an die Kasse und beklagten Missstände. Zeitweise arbeiteten drei Männer als Pfleger in Krakow, von denen lediglich einer bei der Bundeswehr eine Sanitäterausbildung absolviert hatte, die ihn aber nicht für die Tätigkeit in einem Pflegeheim qualifizierte.
Die AOK-Mitarbeiterin berichtete von Kontrollbesuchen, bei denen keine leitenden Mitarbeiter anzutreffen waren, von gefälschten Unterlagen und von offenkundig manipulierten Unterlagen. Als sie Dienstpläne sehen wollte, legte ihr der Anwalt der Einrichtung ein leeres, nicht ausgefülltes Formular vor. Unter das Betäubungsmittelgesetz fallende Medikamente sollen in einem Schreibtisch aufbewahrt und von den Mitarbeitern nach Gutdünken und ohne ärztliche Kontrolle den Patienten verabreicht worden sein.
Bereits zu vier Jahren Haft verurteilt
Ani S. wurde mit Fußfesseln in den Verhandlungssaal geführt. Bereits im vergangenen Jahr wurde sie vom Landgericht Rostock in einer Berufungsverhandlung wegen der katastrophalen Bedingungen in ihren Heimen zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Die Anklage lautete unter anderem auf Freiheitsberaubung und Misshandlung Schutzbefohlener. Weil das Urteil noch nicht rechtskräftig war, befand sich Ani S. auf freiem Fuß, ihr würde zudem Haftverschonung bis Mitte Juni gewährt, um organisatorische Dinge zu regeln. Bei einer weiteren Verurteilung im neuen Prozess könnten weitere Jahre Haft dazukommen.
Bevor der Landkreise ihre Heime schloss, hatte Ani S. zeitweise einen bekannten Fürsprecher: Peter-Michael Diestel, Promi-Anwalt und letzter DDR-Innenminister, trat 2016 auf Pressekonferenzen auf, zu denen sie eingeladen hatte, und pries die Einrichtungen als „Alternative zur industriellen Altenverwahrung“ an. Die Heimaufsicht sprach da bereits von „menschenunwürdigen Zuständen“.