Schuldenstreit in USA: Was passiert bei einem Zahlungsausfall?
Seit Wochen schwebt der Streit zwischen Republikanern und Demokraten um die Anhebung der Schuldenobergrenze über dem politischen Geschehen in den USA. Jetzt könnte es ernst werden: Am 1. Juni droht ein Zahlungsausfall der größten Volkswirtschaft der Welt, dessen Folgen weit über die Grenzen der USA hinaus reichen würden. Doch worum geht es bei dem Streit überhaupt? Und welche Folgen hätte ein Zahlungsausfall der USA für die Weltwirtschaft? Ein Überblick.
Worum geht es beim Streit um die Schuldenobergrenze in den USA?
In der US-amerikanischen Verfassung ist festgelegt, dass der Kongress darüber entscheidet, wie viele Schulden aufgenommen werden dürfen. „Damit soll verhindert werden, dass es zu groben finanzpolitischen Unregelmäßigkeiten kommt“, erklärt Laura von Daniels von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Der „Normalfall“ sei jedoch auch, dass diese Grenze in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder angehoben oder sogar ausgesetzt wurde. Seit 1960 ist das ganze 78 Mal geschehen.
Aktuell liegt die Schuldenobergrenze in den USA bei 31,4 Billionen US-Dollar. Erreicht wurde sie bereits am 19. Januar 2023. Seitdem kann die Regierung von Präsident Joe Biden nur mit „außerordentlichen Maßnahmen“ Abhilfe leisten. Das bedeutet, dass die USA an ihre Reserven gehen müssen, um weiter zahlungsfähig zu bleiben. Doch auch diese haben ihre Grenze: Laut Finanzministerin Janet Yellen stünde ab dem 1. Juni nicht mehr genug Geld zur Verfügung.
Welche Folgen hätte ein Zahlungsausfall der USA?
Damit könnten die USA ihre laufenden Kosten nicht mehr decken. Löhne für Angestellte des Bundes und der Streitkräfte könnten nicht mehr gezahlt, Sozialleistungen nicht mehr getätigt werden. Auch Unternehmen, die auf staatliche Gelder angewiesen sind, wären von einem Zahlungsausfall betroffen.
„Angesichts des drohenden Zahlungsausfalls besteht Anlass zur Sorge“, sagt die Finanzmarktexpertin Laura von Daniels. Denn die Konsequenzen für die EU, aber auch für die gesamte Weltwirtschaft wären „dramatisch“, so die Leiterin der SWP-Forschungsgruppe Amerika. Zunächst könnte es zu Kursverlusten an den US-Aktienmärkten kommen, was Anleger weltweit nervös machen würde.
Schwerwiegender noch könnten die Auswirkungen auf US-Staatsanleihen sein: Diese haben noch einen guten Ruf und gelten bei Anlegern als sichere Bank. Doch infolge eines Zahlungsausfalls könnten auch die US-Anleihen an Wert verlieren – es droht ein Abverkauf. Damit wiederum kämen Banken in Gefahr, die ohnehin schon in Schieflage sind. Im vergangenen März mussten mit den Finanzinstituten First Republic, Signature Bank sowie der Silicon Valley Bank gleich drei US-Geldhäuser mit Milliardenhilfen gerettet werden.
„Im Vergleich zum US-Dollar könnte der Euro zudem an Wert gewinnen“, sagt Laura von Daniels dem RND. Für eine auf Exporte angewiesene Nation wie Deutschland wäre das sehr ungünstig. Auch China wäre womöglich stark betroffen, da das Land je nach Schätzung die meisten, zumindest aber die zweitmeisten Staatsanleihen hält. „China hat sich zwar Berichten zufolge in den vergangenen Jahren bereits von rund 15 Prozent der US-Staatsanleihen getrennt, einen wirtschaftlichen Vorteil könnte das Land daraus aktuell im Falle eines Zahlungsausfalls aber nicht ziehen“, vermutet die Expertin für Staatsverschuldung und Finanzmarktkrisen.
2011 hatte es in den USA zuletzt einen ähnlich erbitterten Streit um die Schuldenobergrenze gegeben. Auch damals sei zwar Nervosität auf den Finanzmärkten ausgebrochen, doch angesichts der damaligen Eurokrise hätten der US-Dollar und die US-Staatsanleihen sogar an Wert gewonnen, erinnert die von Daniels. Wie genau sich ein Zahlungsausfall also auswirken würde, sei im Moment noch schwer absehbar.
Doch schon durch den bloßen Streit ist die Kreditwürdigkeit der USA in Gefahr: Die Ratingagentur Fitch sieht die Bonität der weltgrößten Volkswirtschaft etwas kritischer und signalisierte am Mittwochabend eine mögliche Herabstufung. Die Kreditwächter behielten zwar das Top-Rating „AAA“ bei, senkten den Ausblick für die Kreditwürdigkeit aber auf „negativ“, so dass eine Abstufung drohen könnte. Bereits der langwierige Streit im Jahr 2011 hatte dazu geführt, dass die Kreditwürdigkeit der USA zum bisher einzigen Mal in der Geschichte herabgestuft wurde. Standard & Poor‘s strich damals die Topnote „AAA“ und bewertet die USA seitdem mit „AA+“ - also eine Note schlechter.
Ist ein Zahlungsausfall tatsächlich realistisch?
US-Expertin Laura von Daniels hält einen Zahlungsausfall der USA für eher unwahrscheinlich, denn bisher habe es immer eine Einigung gegeben. „Die Republikaner können den politischen Druck aber maximal erhöhen, sodass es zu einer Rettung in letzter Sekunde kommen würde.“ Damit würde sich die Geschichte wiederholen, da auch 2011 unter dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama nur mit Mühe ein Zahlungsausfall verhindert wurde. „Präsident Biden zeigt sich schon kompromissbereit. Es gibt Anzeichen, dass man sich in dem Konflikt näher kommt“, beobachtet von Daniels. Dennoch: „Es ist am wahrscheinlichsten, dass es Ende Mai zur Zuspitzung des Konflikts kommt.“
Wie könnte eine Lösung des Streits aussehen?
„Die Republikaner haben bereits mehrere Vorschläge gemacht, die Demokraten akzeptieren jedoch bisher nicht“, erklärt die Politikwissenschaftlerin. Laut der Nachrichtenagentur AP wollen die republikanischen Unterhändler in dem Streit nun jedoch den Druck erhöhen: Sie verließen kurzerhand die Hauptstadt Washington für das Wochenende – und das nur Tage vor dem drohenden Zahlungsausfall. Laut „New York Times“ hingegen zeichnet sich eine baldige Einigung ab: Die Unterhändler beider Lager hätten bereits mit der Ausarbeitung eines Gesetzestextes begonnen, berichtete das Blatt am Donnerstag.
Im Gespräch sei aktuell eine Anhebung der Schuldengrenze um zwischen 3,5 und vier Billionen US-Dollar, sagt von Daniels. „Fraglich ist jedoch noch immer, über welchen Zeitraum die Anhebung gelten soll.“ Diese Frage hat aktuell zusätzliche Brisanz, denn im kommenden Jahr stehen Präsidentschaftswahlen in den USA an. „Wann die Anhebung der Schuldenobergrenze ausläuft, ist deshalb sowohl für die Demokraten als auch für die Republikaner wichtig“, erklärt die Expertin. Präsident Biden, der für seine Wiederwahl antritt, wolle einen erneuten Streit kurz vor den Abstimmungen vermeiden. Für die Republikaner könnte sich hingegen ein neues Druckmittel ergeben.
Am Donnerstag sagte Kevin McCarthy, Republikaner und Vorsitzender des Repräsentantenhauses, dass „jede Stunde“ in den Gesprächen mit US-Präsident Biden und seinem Team zählen würden. „Wir haben den ganzen Tag mit dem Weißen Haus gesprochen“, erklärte McCarthy gegenüber Reportern. „Wir arbeiten hart daran, dass es klappt.“ Biden teilte im Weißen Haus mit: „Es geht um konkurrierende Versionen von Amerika“.
Diese „konkurrierende Version“ der Republikaner sieht wohl einschneidende Kürzungen im Haushaltsjahr 2024 vor. Diese könnten zentrale Projekte der Biden-Administration vor allem im sozialen Bereich oder beim Klimaschutz angreifen. „Die Republikaner fordern unter anderem, den Zugang zum Arbeitslosengeld zu erschweren. Dem können die Demokraten jedoch nicht zustimmen“, erklärt von Daniels. Mit einer Einigung könnten laut „New York Times“ sogar Ausgaben in allen Bereichen außer beim Militär und den Veteranen begrenzt werden, dafür könnte die Schuldenobergrenze für insgesamt zwei Jahre angehoben werden.
Daneben gebe es auf republikanischer Seite jedoch noch eine sogenannte „Wildcard“, sagt US-Expertin Laura von Daniels. Dabei handele es sich um den Freedom Caucus, eine Gruppe extremrechter republikanischer Abgeordneter im Repräsentantenhaus. Diese hatten schon versucht, die Wahl von McCarthy zum Sprecher des Repräsentantenhauses im vergangenen Januar zu blockieren. Der Republikaner konnte so erst im 15. Wahlgang die nötige Mehrheit auf sich vereinen. Nun sei die Frage, ob der Freedom Caucus in der Lage ist, viele Republikaner gegen einen Kompromiss im Streit um die Schuldenobergrenze zu mobilisieren, erklärt von Daniels.
Käme es wirklich zum Zahlungsausfall, sei aber auch für die Republikaner das politische Risiko enorm hoch, die Wählerschaft könnte die Partei als Schuldigen für ein mögliches Wirtschaftschaos identifizieren. „Ein Zahlungsausfall wäre für alle Seiten sehr schädlich.“
mit Agenturmaterial