LeBron James und die Megastars des Sports: Eine Generation steht am Wendepunkt
Knapp dreieinhalb Minuten vor der finalen Sirene schlägt LeBron James noch einmal zu. Ein Dribbling in die Zone der Denver Nuggets, ein Korbleger, der Megastar verkürzt im vierten Spiel der Play-off-Halbfinalserie in der nordamerikanischen Basketball-Profiliga NBA den Rückstand seiner Los Angeles Lakers auf drei Punkte. Die ersten drei Spiele hatten die Lakers bereits verloren. Noch eine Niederlage und James‘ Traum vom fünften NBA-Titel wäre ausgeträumt. Und jetzt? Geht da noch was?
Doch kurz darauf ist das Spiel entschieden, auch weil der LA-Spieler mit der Rückennummer 6 in den Schlussminuten noch zweimal verwirft. Denver gewinnt getragen von seinem Superstar Nikola Jokic 113:111 und zieht in die Finalspiele der NBA ein. LeBron James hat trotz einer persönlich starken Leistung mit 40 Punkten jetzt Urlaub. Sein Team hat den in der US-Sportwelt so gefürchteten Besen zu spüren bekommen, ist in der Play-off-Serie gegen die Nuggets ohne Sieg geblieben, hat somit einen „Sweep“ kassiert, ist – sinngemäß übersetzt – aus der Halle „gefegt“ worden.
Und James schockiert in der ersten Erregung nach dem Ausscheiden seines Teams Fans und Fachwelt mit Andeutungen. Die Frage sei gestellt, „ob ich weiterspielen will“, soll der 38-Jährige nach Angaben des US-Sportsenders ESPN einem nachbohrenden Reporter gesagt haben. Nur kurz zuvor hatte der Basketballer verlautbart: „An diesem Punkt meiner Karriere spiele ich nur noch dafür, Titel zu gewinnen. Ich bekomme keinen Kick, wenn ich in den Conference Finals bin. Da war ich schon. Oft. Es macht mir keinen Spaß, wenn ich nicht Teil davon bin, in die Finals zu kommen. Wir werden sehen, was passiert. Es gibt viel, worüber ich nachdenken muss.“
Deutet der Spieler mit den meisten erzielten Punkten in der NBA-Geschichte hier sein Karriereende an? Muss die Basketballwelt auf den Spieler verzichten, der die vergangenen 20 Jahre geprägt hat, der je nach persönlicher Vorliebe als bester (vor Michael Jordan) oder zweitbester (hinter Michael Jordan) Basketballer der Geschichte verehrt wird? Die von ihm aufgeworfene einzig attraktive Perspektive Titelgewinn erscheint zumindest äußerst vage, weil auch die zukünftige Zusammensetzung der Lakers, bei denen James noch mindestens eine Saison unter Vertrag steht, ziemlich vage ist. So könnten die beiden Zähler knapp dreieinhalb Minuten vor Ende des Spiels gegen Denver am 22. Mai 2023 (Ortszeit) wirklich die letzten seiner von vier Meisterschaften gekrönten Karriere gewesen sein.
Die NBA verlöre ihr Aushängeschild, den Spieler, der allein dafür gesorgt hat, dass Hallen ausverkauft waren und Fernseher eingeschaltet wurden. Und James steht damit in einer ganzen Reihe von Ikonen, die einerseits die übrigen Größen ihres jeweiligen Sports wegen ihrer Leistungen noch überragen und deren Karrieren andererseits kurz vor entscheidenden Wendepunkten oder gar dem Ende stehen.
Auch andere Sportler stehen kurz vor dem Ende ihrer Karriere
Da ist Rafael Nadal. Der Tennisspieler musste jüngst die French Open verletzungsbedingt absagen, das Turnier, bei dem er seit 2005 immer am Start war, das er 14-mal gewann. Die französische Sportzeitung „L‘Équipe“ titelte „Ein Land ohne seinen König“. Doch einmal will der Spanier, mittlerweile 36 Jahre alt und von zahlreichen Blessuren geplagt, aber noch zurückkommen. „Olympia ist eines meiner Ziele. Ob es dann das letzte Turnier meiner Karriere wird, kann ich nicht sagen“, sagte er mit Blick auf die Sommerspiele 2024 in Paris. Das olympische Tennisturnier wird passenderweise dort ausgetragen, wo sich Nadal am wohlsten fühlt, auf dem Sand der French Open im Stade Roland Garros.
Da ist Tiger Woods. Der US-Golfer, der seinen Sport auf ein zuvor nicht gekanntes Niveau hob, tritt seit einem schweren Autounfall 2021 nur noch bei ausgewählten Turnieren der US-Tour an. Zuletzt musste der 47-Jährige die PGA-Championship absagen, das US-Masters im April hatte der 15-fache Sieger von Major-Turnieren wegen einer Verletzung abbrechen müssen. Unklar, wann der Mann, dessen Vermögen auf 1,1 Milliarden US-Dollar geschätzt wird, auf den Golfplatz zurückkehrt.
Da ist Lewis Hamilton. Dem (mit Michael Schumacher) Formel-1-Rekordweltmeister werden in schöner Regelmäßigkeit Gedanken über das Karriereende angedichtet. Mit seinen 38 Jahren ist er über den Formel-1-Zenit eigentlich hinaus, den achten WM-Titel (und damit den alleinigen Rekord) hat er in den beiden vergangenen Saisons verpasst. In Max Verstappen (25) scheint ein Nachfolger gefunden. Und doch zeigt sich Hamilton kampfeslustig: „Ich bin nicht am Ende meiner Karriere, ich bin nicht in der Abwärtsspirale meiner Karriere. Ich bin in meiner Blütezeit“, tönte er gegenüber ESPN. Und vor wenigen Tagen kamen Gerüchte auf, dass der Brite von Mercedes, wo sein Vertrag nach der laufenden Saison endet, zu Ferrari wechselt.
Ronaldo und Messi sind immer noch dabei
Da sind die Fußballer Cristiano Ronaldo (38) und Lionel Messi (35). Der Portugiese Ronaldo ist auf fürstlich bezahlter Abschiedstour als Angestellter des Al-Nassr FC in Saudi-Arabien, eine Rückkehr in eine ernsthafte Liga erscheint trotz wiederkehrender Gerüchte immer unwahrscheinlicher. Der Argentinier Messi steht bei Paris Saint-Germain nach einer persönlich guten Saison, die vom WM-Titel mit Argentinien überstrahlt wird, zwar kurz vor der Meisterschaft, seine Zukunft ist aber weiter unklar. Sein Vertrag bei PSG läuft aus. Auch er wird mit einem Engagement in Saudi-Arabien oder mit einer Rückkehr zum FC Barcelona in Verbindung gebracht. Tritt die erste Option ein, wäre das analog zu Ronaldo der Abschied von ernsthaften fußballerischen Ambitionen.
Zurück zu LeBron James. Ausgesorgt hat der 2,06 Meter große Athlet längst, sein Vermögen soll 1 Milliarde US-Dollar betragen. Und möglicherweise steht sogar schon sein Nachfolger bereit. Der 19 Jahre Victor Wembayana dürfte ab der nächsten Saison wahrscheinlich für die San Antonio Spurs in der NBA spielen. „King“ James, auch „Chosen One“ („Der Auserwählte“) genannt, hat diesen 2,18 Meter großen Franzosen mit der unfassbaren Armspannweite bereits – respektvoll – als „Alien“ bezeichnet, weil er Fähigkeiten und Eigenschaften mitbringt, die es noch nie gab. Selbst wenn LeBron James also aufhört, gäbe es nach seinem Ende den Beginn eines neuen potenziellen Megastars. Ihm selbst dürfte das bekannt vorkommen: Als er 2003 in die NBA kam, war er selbst dieser Anfang. Michael Jordan hatte damals gerade aufgehört.