Dieter Schwarz: Warum der Lidl-Gründer in seine Heimatstadt Heilbronn investiert

Das Modell eines Gewinnerentwurfs für einen KI-Park. Ein Bildungscampus, eine Programmierschule, etliche Institute – und bald auch ein großer Forschungspark für künstliche Intelligenz (KI), alles unterstützt durch die Stiftung des Lidl-Gründers Dieter Schwarz. Marijan Murat
Das Modell eines Gewinnerentwurfs für einen KI-Park. Ein Bildungscampus, eine Programmierschule, etliche Institute – und bald auch ein großer Forschungspark für künstliche Intelligenz (KI), alles unterstützt durch die Stiftung des Lidl-Gründers Dieter Schwarz. Marijan Murat

Dieter wer?

Nein, der Name des reichsten Deutschen sagte ihnen nichts. Lidl, klar, schon gehört. Aber Schwarz? Lisa war Abiturientin in Kiew, sie stieß im Netz auf den Eingangstest, ein Onlinespiel, und wie dieser Schwarz einmal ihr Leben verändern würde: Wie hätte sie es ahnen können?

Heute, einige Monate später, geht sie auf die Programmierschule „42″ in Heilbronn, wie 330 Studierende aus knapp 50 Ländern. Lisa, 19, eine schmale Person im engen schwarzen Pullover, die kurzen blonden Haare von einem Gummi hinter dem Kopf gehalten, Kopfhörer um den Hals.

„42″ ist eine der innovativsten Programmierschulen weltweit. Das Konzept stammt aus Frankreich, die ersten Schulen standen in Paris und Fremont, Kalifornien, und jetzt auch in die alten Maschinenfabrik in Heilbronn. Weil die Dieter-Schwarz-Stiftung zahlt – sowohl die Ausstattung als auch Stipendien für Schülerinnen wie Lisa.

Der Name „42″ ist inspiriert von den „Per Anhalter durch die Galaxis“-Romanen von Douglas Adams, in denen 42 die Antwort auf die Frage nach dem Universum, dem Leben und dem ganzen Rest ist. In diesem Sinne wäre Dieter Schwarz gleichsam die 42 von Heilbronn: die Antwort auf alles.

„Wir haben hier eine große Chance“: „42“-Schülerin Lisa aus Kiew. Thorsten Fuchs

Getroffen hat sie Dieter Schwarz bis heute nicht. Aber sie sagt: „Wir haben hier eine große Chance.“ Das gilt für sie. Für die Stadt. Oder doch vor allem: für Dieter Schwarz und seine Firmen?

Dieter Schwarz ist der Gründer der Lidl-Märkte, 1973 eröffnete er seinen ersten Discounter. Heute beschäftigt die Schwarz-Gruppe weltweit 550.000 Menschen, setzt 133 Milliarden Euro um und betreibt 13.300 Filialen. Das Magazin „Forbes“ schätzt sein Vermögen auf 47,2 Milliarden US-Dollar, damit wäre er der reichste Deutsche.

Mehr als 300 Schüler aus fast 50 Nationen: die Programmierschule „42“ aus Heilbronn. Thorsten Fuchs

Ähnlich bekannt wie für seinen Reichtum ist der 83-Jährige allerdings für seine öffentliche Zurückhaltung. Interviewanfragen lehnt er von jeher ab. Es existiert kaum eine Handvoll Fotos von ihm. Das jüngste, aufgenommen bei einem Festakt in Heilbronn vor vier Jahren, zeigt ihn in grauem Anzug mit pinker Krawatte, zuhörend im Gespräch. Äußerlich ist Schwarz die personifizierte Dezenz.

Oxford, Stanford, Heilbronn

Umso auffälliger sind dafür die Spuren, die er in seiner Heimatstadt Heilbronn hinterlässt. Da ist das Science-Center Experimenta, eine Lernwelt, das größte Zentrum dieser Art in Deutschland. Dann ein eigener Bildungsstadtteil, der Bildungscampus, mit einer Außenstelle der TU München, für die die Stiftung 40 Professuren finanziert. Mit Schwarz‘ Hilfe kamen ein Fraunhofer-Institut, das Ferdinand-Steinbeis-Institut für Digitalisierung und Vernetzung, es gibt Kooperationen mit Oxford und Stanford. Wie Schwarz die alte Industriestadt zur Bildungshochburg umbaut, ist in Deutschland ohne Beispiel.

Und schließlich der jüngste Coup: ein neuer Stadtteil für Künstliche-Intelligenz-Projekte, für Firmen, Forschung, Start-ups, Lernen und Wohnen, ein „KI-Innovationspark“ auf 23 Hektar, in dem in einigen Jahren 5000 Menschen arbeiten und leben sollen. Heilbronn hat dafür den Zuschlag samt 50-Millionen-Förderung vom Land Baden-Württemberg bekommen, der maßgebliche Treiber aber war, mal wieder, die Schwarz-Stiftung.

Ohne Logo: der Bildungscampus in Heilbronn. Thorsten Fuchs„Ansprüche Richtung Champions League“: KI-Projekt-Chef Moritz Gräter mit dem Modell des neuen Stadtteils. Thorsten Fuchs

Die Ansprüche jedenfalls sind riesig. Moritz Gräter, Enddreißiger mit Vollbart, ist Chef der Planungsgesellschaft, die am Rande des künftigen KI-Parks residiert. Eine Bar, viel Holz, Pflanzen, Start-up-Lässigkeit. Die Büros auf der Etage, betont Gräter, seien alle schon vergeben. Porsche, Würth, die Namen der Großen stehen auf den Schildern an Glastüren. „Unsere Ansprüche“, sagt Gräter, „gehen eindeutig Richtung Champions League.“

Moment: Champions League? In Heilbronn? Da muss im Land mancher schlucken. Oder lächeln. Über die Stadt, die sich 2020 sofort „Universitätsstadt“ auf ihre Ortsschilder schrieb, als wolle sie einen alten Minderwertigkeitskomplex tilgen. Gegenüber Heidelberg und Tübingen zum Beispiel, den alten Universitätsstädten. „Alles nur gekauft“, das ist der Vorwurf.

Der Dünkel gegenüber dem Aufsteiger

Es ist, so könnte man sagen, auch der Argwohn der Etablierten gegenüber dem Aufsteiger. Des Geistes gegenüber dem Geld. Jedenfalls sehen sie es in der Zentrale der Dieter-Schwarz-Stiftung so, durch die bodentiefen Fenster im neunten Stock des Hochhauses auf dem Bildungscampus.

Ich verstehe, dass die Enttäuschung bei den unterlegenen Städten tief sitzt.

Reinhold R. Geilsdörfer,; Geschäftsführer der Dieter-Schwarz-Stiftung für den Hochschulbereich

Über die Bewerbungen für den KI-Standort des Landes hätten zehn internationale Experten entschieden, betont Reinhold R. Geilsdörfer, einer von zwei Geschäftsführern. „Die Vorstellung, dass die sich hätten kaufen lassen, ist absurd. Aber ich verstehe, dass die Enttäuschung bei den unterlegenen Städten tief sitzt.“

Es gibt auch hier, in der Kommandozentrale von Schwarz‘ Herzensprojekt, kein Firmenlogo. Nur die obligatorischen Lidl-Plastikwasserflaschen auf dem Tisch, die in jedem Heilbronner Besprechungsraum Vorschrift zu sein scheinen.

In Heilbronn allgegenwärtig: Lidl-Wasser im Besprechungszimmer. Thorsten Fuchs

Die Stiftung jedenfalls, sie ist so etwas wie ein Spiegel des reichsten Deutschen. In Sachen Sparsamkeit zum Beispiel, Schwarz selbst, so heißt es, trage Anzüge von der Stange, fahre mit seinem alten Mercedes ins Büro und wohne bescheiden. Die Stiftung wiederum verfügt über gerade mal zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bescheiden im Vergleich mit anderen Stiftungen.

Die Stiftung folgt auch einem ähnlichen Schweigegelübde wie ihr Gönner, Zahlen werden nicht genannt. Mit welchen Millionenbeträgen die Stiftung Projekte fördert, ist Verschlusssache.

Und schließlich spiegelt sie die Bildungssehnsucht ihres Gründers: Schwarz, der nach dem Abitur nicht studieren durfte, sondern das Handelsunternehmen seines Vaters übernehmen musste. Die Stiftung lässt auch Erzieherinnen und Erzieher ausbilden, schickt Sprachlehrerinnen und Sprachlehrer in Kitas und Grundschulen – nicht unwichtig in einer Stadt mit 59 Prozent Migrationsanteil – und baut gerade eine neue internationale Schule für 1000 Schülerinnen und Schüler.

Das Misstrauen gegenüber Schwarz‘ Engagement kennen sie hier natürlich.

Alles nur schwarzscher Eigennutz?

Dass Schwarz so verschwiegen ist? Bescheidenheit, sagt Geilsdörfer. „Er möchte nichts nach außen plakatieren. Er möchte einfach etwas von dem Erfolg, den er hatte, an die Stadt zurückgeben, in der er aufgewachsen ist und gerne lebt.“

Dass es Schwarz nur darum gehe, Fachkräfte anzulocken und Nachwuchs für seine Firmengruppe zu rekrutieren, die sich immer stärker auch auf IT-Dienstleistungen setzt? „Den Studierenden steht es frei, was sie nach dem Studium machen. Wenn die Unternehmensgruppe ihnen attraktive Jobs anbietet, werden sie bleiben. Und wenn Aldi ihnen attraktivere Jobs anbietet, werden sie dahin gehen.“

Und wäre all das Geld nicht besser in der Hand des Staates aufgehoben? „Dann würden wahrscheinlich 80 Prozent in soziale Projekte fließen und nur 20 Prozent in Zukunft“, sagt Geilsdörfer. „Und dann muss ich sagen: Wir sind eigentlich stolz darauf, dass es so ist.“ Aber das, räumt er ein, könne man natürlich auch anders sehen.

„Und dann muss ich auch sagen: Wir sind stolz darauf“: Silke Lohmiller und Reinhold Geilsdörfer, Dieter-Schwarz-Stiftung. Dieter-Schwarz-Stiftung

Im Schwarz-Kosmos sind sie jedenfalls recht sicher, am besten zu wissen, was die Welt am dringendsten braucht.

In der Stadt, das ist das Bemerkenswerte, sehen sie das nicht mal anders.

Dieter Schwarz ist hier durchaus präsent. Auf dem Wochenmarkt oder in den Konzerten des Württembergischen Kammerorchesters. Doch so bekannt sein Name in Heilbronn ist, so viele wissen nicht, wie er aussieht. Selbst die Lokalzeitung hält sich an seine Vorgabe, keine Fotos von ihm zu veröffentlichen. Er selbst, heißt es, habe Angst, das Schicksal Anton Schleckers zu teilen, dessen Kinder einst entführt wurden.

Auch die Menschen in Heilbronn akzeptieren seine Haltung. Hasal ist 17, Schülerin, sie sitzt sie auf den Stufen der Kilianskirche. „Er erspart sich damit eine Menge Kopfschmerzen“, sagt sie über Schwarz. Wie er aussieht, weiß auch sie nicht. In der Schule aber würden sie viel über ihn und seine Rolle in der Stadt diskutieren. „Die allermeisten finden gut, was er macht.“

Die Heilbronner Antwort auf alles: Dieter Schwarz

Der Turm der Kilianskirche wurde übrigens vor einigen Jahren renoviert. Ein großer Zuschuss dazu kam von … genau, der Dieter-Schwarz-Stiftung.

Es gibt in Heilbronn einen Spruch, den die Menschen hier oft dann sagen, wenn wieder irgendwas zu bezahlen ist und die Stadt kein Geld dafür hat. Er lautet: „Kann das nicht der Schwarz machen?“

Und so sitzt Harry Mergel, der SPD-Oberbürgermeister von Heilbronn, in seinem Dienstzimmer im Rathaus, vor einer bunten Stele des Heilbronner Glaskünstlers Raphael Seitz, und versucht, den Eindruck zu entkräften, in der 130.000-Einwohner-Stadt beuge sich alles dem Willen ihres reichsten Einwohners.

Harry Mergel, Oberbürgermeister von Heilbronn seit 2014. Thorsten Fuchs

Mergel, 67, früher Lehrer, machte überregional Schlagzeilen, als sich im Wahlkampf 2014 Dieter Schwarz öffentlich für ihn aussprach und er mit 56 Prozent gewann. Im vergangenen Jahr wurde er wiedergewählt. Schwarz schwieg diesmal, Mergel holte 81,5 Prozent. Aber das machte keine Schlagzeilen.

Schwarz und er kennen sich seit den Achtzigerjahren. Mergel organisierte damals ein Festival, Schwarz sponserte es.

Ohne ihn hätten wir das nicht realisieren können. Aber die Idee hatten wir.

Harry Mergel;, SPD-Oberbürgermeister von Heilbronn

Es sei die Stadt gewesen, das Rathaus, das Heilbronn zur Bildungsstadt machen wollte. Zum Beweis beamt er Bilder an die Wand, die die Geschichte eines lange unterschätzten Ortes zeigen sollen. Fast zerstört im Krieg, lange Industriestadt, dann: Bildung und Wissenschaft. Der Impuls zur Experimenta zum Beispiel sei von der Stadt ausgegangen: „Ohne ihn hätten wir das nicht realisieren können. Aber die Idee hatten wir.“

Eine schuldenfreie Stadt

Lange schon verzichte die Stadt auf Kita-Gebühren – möglich auch deshalb, weil Heilbronn praktisch schuldenfrei ist. Nicht wegen Lidl, dessen Zentrale in Neckarsulm liegt, der Nachbarstadt, sondern einiger heimlicher Weltmarktführer in Heilbronn.

Es sagt jedenfalls wohl einiges über das Misstrauen, das Reichtum und Sponsoring in Deutschland erwecken, dass Mergel recht am Anfang des Gesprächs von sich aus betont: „Wir stehen fest auf dem Boden der parlamentarischen Demokratie. Alle wichtigen Entscheidungen, die die Expansion der Stadt betreffen, werden alle hier im großen Saal des Rathauses getroffen, im Rat der Stadt, alles öffentlich.“

Nein, soll das heißen, Dieter Schwarz sei nicht der heimliche König von Heilbronn.

Dankbar seien sie aber durchaus, sie wissen, dass ihre Stadt anders aussähe ohne ihn. Dass nicht so viele Menschen kämen. Die 19-jährige Lisa, die Programmierschülerin, versichert jedenfalls, dass ihr die Stadt gefalle. Sehr jung, sehr divers, sagt sie.

Und vielleicht, fügt sie hinzu, werde sie sogar bleiben.

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