Forscher entdecken nicht-binäre Menschen aus der Bronzezeit
Nicht-binäre Menschen gab es schon in der Bronzezeit. Zu diesem Schluss kommen Forscher der Universität Göttingen (Niedersachsen). In einer groß angelegten Studie analysierten sie über 1200 Skelette aus der Bronzezeit und dem Neolithikum. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass es schon vor Tausenden Jahren eine tolerierte Minderheit mit einer nicht-binären Geschlechteridentität gab. Mit ihrer Veröffentlichung haben die Wissenschaftler ein modernes Verständnis von Geschlechteridentitäten auf die Archäologie übertragen.
Bisherige archäologische Studien haben überwiegend mit einem traditionellen, binären Geschlechtermodell gearbeitet, bei dem Leichname basierend auf der DNA ihrer Knochen ihrem biologischen Geschlecht zugeordnet wurden. Es gibt aber auch das Konzept des sozialen Geschlechts, das von der eigenen Geschlechteridentität und der Fremdwahrnehmung abhängt. In der Archäologie werden beispielsweise Schmuck als Grabbeigabe für weibliche Individuen und Waffen als Beigabe für männliche Personen interpretiert.
Forscher untersuchen soziales und biologisches Geschlecht von Skeletten
Nicht immer deckt sich diese Interpretation mit den DNA-Ergebnissen. Daher haben Eleonore Pape vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und Nicola Ialongo vom Seminar für Ur- und Frühgeschichte der Georg-August-Universität mit ihrem Team an der Uni Göttingen gemessen, wie oft bei den untersuchten Leichnamen das soziale Geschlecht und das biologische Geschlecht nicht übereinstimmen. Die sieben betrachten Grabfelder in Deutschland, Österreich und Italien stammen aus einem Zeitraum vor etwa 7500 bis 3200 Jahren.
Die Wissenschaftler kamen zum Ergebnis, dass bei 90 Prozent der identifizierten Individuen das biologische und soziale Geschlecht übereinstimmen. Eine völlig neue Entdeckung für die Archäologen ist aber die Minderheit von 10 Prozent der Individuen, bei denen beide Geschlechterkonzepte nicht übereinstimmen.
Forscher: Schon in der Bronzezeit gab es eine nicht-binäre Minderheit
Sie könnten ein Beleg dafür sein, dass es schon vor Tausenden von Jahren Toleranz gegenüber nicht-binären Menschen gab. Denn sie wurden ähnlich wie ihre Zeitgenossen beerdigt, bekamen aber Grabbeigaben, die nicht zu ihrem biologischen Geschlecht passten. „Die Zahlen sagen uns, dass wir nicht-binäre Personen historisch gesehen nicht als Ausnahmen von einer Regel betrachten können“, sagte Pape, die das Projekt mit geleitet hat. Eine starke Abgrenzung von Männlichkeit und Weiblichkeit und damit verbundenen Wertevorstellungen lag im prähistorischen Europa offenbar nicht vor.
Die Ergebnisse des Teams sind aber noch mit Zweifeln behaftet, wie die Forscher selbst einräumen: Sie weisen darauf hin, dass viele der Skelette wegen ihres Alters nicht biologisch eingeordnet werden konnten und noch weitere Analysen der prähistorischen Leichname basierend auf den Ergebnissen der Studie notwendig sind. „Die tatsächliche Größenordnung“ der entdeckten Minderheit hätten sie noch nicht feststellen können, so Ialongo.
Geschlechterforschung ist mittlerweile eine eigene Fachrichtung
Die Studie wurde in der Zeitschrift Cambridge Archaeological Journal veröffentlicht. Die beiden Wissenschaftler haben die Forschung für die Universität Göttingen durchgeführt. Mittlerweile arbeitet Eleonore Pape am Max-Planck-Institut in Leipzig. Nicola Ialongo ist weiterhin am Seminar für Ur- und Frühgeschichte an der Universität beschäftigt.
Im deutschen Sprachgebrauch klingt die Unterscheidung zwischen biologischen Geschlecht und sozialen Geschlecht etwas kompliziert, aber im Englischen gibt es dafür zwei unterschiedliche Begriffe: „sex“ und „gender“. Heutzutage ist Geschlechterforschung ein eigener Fachbereich an vielen Universitäten und gendergerechte Sprache sowie non-binäre Geschlechteridentitäten werden im Alltag von immer mehr Menschen angewendet.