Wechseljahre und Großmutterhypothese: Der evolutionäre Schatz der Menopause
Frau Kirchengast, Frauen sind weniger lange fruchtbar als weibliche Tiere anderer Primatenarten – und trotzdem leben sie weitaus länger als die tierischen Verwandten weiblichen Geschlechts. Warum gibt es die Wechseljahre?
Die Menopause ist ein einmaliges Ereignis, die letzte spontane Blutung, danach folgt die Postmenopause. Diese lange nicht reproduktive Phase im Leben der Frau ist tatsächlich etwas Besonderes. Es geht um ein Drittel der Lebensspanne, etwas Ähnliches gibt es nur bei Zahnwalen. Aber da diese nicht so eng verwandt mit uns sind, kann man hier nur sehr bedingt vergleichen.
Was könnte der evolutionäre Vorteil der Menopause für unsere weiblichen Vorfahren gewesen sein?
Die Großmutterhypothese besagt, dass es von Vorteil für die Frauen war, nach der Menopause keine Kinder mehr bekommen zu können, weil Frauen sich dann in jener Lebensphase besser um die Enkel hätten kümmern können. Damit, so die Idee, würde deren Überlebenschance verbessert – und damit auch die Weitergabe der Gene der Großmutter. So könnte man sich dann eben vorstellen, dass diese Enkel eben auch verstärkt die Anlage für die Menopause weitergeben haben und diese sich durchgesetzt hat.

Klingt plausibel, oder?
Einerseits ja, andererseits gibt es Aspekte, die zweifelhaft sind. Wenn die Großmütterhypothese zuträfe, müssten ja die Enkelkinder bei ihrer Großmutter leben. Allerdings wissen wir, dass dies sehr oft in traditionellen Gesellschaften – und vermutlich auch in den früheren sozialen Strukturen unserer Vorfahren – nicht der Fall war. Oft wechselten gerade die gebärfähigen Frauen die Gruppen und die Kinder wuchsen dann eben nicht bei der Großmutter auf.
Was könnte stattdessen der evolutionäre Vorteil der Menopause gewesen sein?
In früheren Zeiten war es sicherlich nicht einfach, schwanger und damit relativ wenig mobil zu sein. Und richtiggehend gefährlich war die Geburt: Langwierig beim Menschen, vermutlich auch bei unseren näheren verwandten Vorfahren, denn der Kindskopf wurde in der Evolution immer größer. Komplikationen und Geburtsverletzungen waren wohl häufig, insbesondere Infektionen. Da erscheint es günstiger für Frauen, so früh aufzuhören mit der Fortpflanzung, dass das Risiko bei der Geburt zu sterben nicht zu groß wurde. Und ein junger Körper kommt mit den Belastungen der Schwangerschaft besser zurecht.
Die evolutionäre Vorteil der Menopause wäre, dass die Frauen damit länger überleben?
Genau, es würde nicht viel Sinn machen, wenn Frauen sich bis zum bitteren Ende reproduzieren würden – die letzten Nachkommen hätten dann keine Mutter und kaum eine Chance ihrerseits das fortpflanzungsfähige Alter zu erreichen. Günstiger für den Erfolg der Nachkommen war es wohl für die Frauen, wenn sie sich um die vorhandenen Kinder gut kümmern konnten.
Und eventuell auch um Enkel – diese Theorie widerspricht gar nicht der Großmutterhypothese?
Nein, beide Effekte könnten dazu beigetragen haben, dass sich die Menopause durchgesetzt hat.
Würde das Argument, nicht auch dafür sprechen, dass andere Arten eine Menopause entwickeln hätten können – es ist schließlich doch für kein Tier günstig, keine Mutter zu haben?
Wir sehen bei vielen Arten zwar, dass die Reproduktion mit fortgeschrittenem Alter nachlässt, aber nirgendwo eine so ausgeprägte Postmenopause wie beim Menschen. Wenn ich eine Maus bin, sind meine Nachkommen eben schon acht Wochen nach der Geburt in der Lage, selbstständig zu überleben, also brauche ich keine lange Phase der Betreuung. Menschenkinder werden besonders unreif geboren und brauchen deswegen besonders lange die Fürsorge ihrer Eltern, insbesondere der Mutter. Die Kinder wurden früher wahrscheinlich etwa die ersten vier bis fünf Jahre lang gestillt.
Die Maus ist natürlich auch sehr weit entfernt vom Menschen.
Bei den nicht menschlichen Primaten ist es noch sehr unklar, ob es etwas Ähnliches wie die Menopause gibt. In der freien Wildbahn leben nur sehr wenige Individuen so lange, dass man eine solche Phase zweifelsfrei nachweisen könnte. Aus dem was bekannt ist, würde ich vermuten: Es gibt menopausale Zustände bei unseren tierischen Verwandten, aber sie sind wohl kürzer als beim Menschen. Allerdings: Wir sind acht Milliarden Menschen. Unsere nächsten Verwandten zählen nur 200.000 Individuen.
Wie meinen Sie das?
Beim Menschen war es offensichtlich eine besonders erfolgreiche Strategie, die Fortpflanzung vorzeitig einzustellen, damit sich die Frauen, um die bereits vorhandenen Nachkommen kümmern konnten.
Der Erfolg der Menschheit ist auf die Wechseljahre zurückzuführen? Da würden mir andere Aspekte vorher einfallen, etwa die Fähigkeit zum sozialen Lernen.
Die Menopause allein kann kein Bevölkerungswachstum hervorrufen, aber sie ist Teil zahlreicher Veränderungen in den evolutionären Mustern der Menschheit. Frauen nach der Menopause sind gute zusätzliche Betreuungspersonen, die es im Tierreich in dieser Form sonst nicht gibt. Ein früheres Ende der Reproduktionsfähigkeit und damit ein erhöhtes Investment erfahrener Frauen hat wahrscheinlich die Sterblichkeit der Kinder reduziert und sich so als gute Strategie erwiesen.
Kommen Frauen heute später in die Wechseljahre als früher?
Laut Definition tritt die Menopause ein, sobald eine Frau seit mindestens seit einem Jahr keine spontanen Menstruationsblutungen hat. Das heißt, sie lässt sich nur im Rückblick feststellen, systematische Erfassungen gab es zudem in früheren Zeit nicht. Anhand dessen, was wir wissen, würde ich schätzen, dass sich die Menopause wenige Jahre nach hinten verlagert hat. Frauen haben sie heute durchschnittlich mit 51, früher ist sie wohl mit Mitte 40 eingetreten.
Warum heute später?
Die Menopause tritt ein, wenn der Eizellvorrat der Frau aufgebraucht ist. Dieser wird schon vor der Geburt angelegt. Wie viele Eizellen eine Frau hat, liegt also zum Teil an den Lebensbedingungen, die man hatte, bevor man geboren worden ist – also eigentlich daran, wie die eigene Mutter aufgewachsen ist. Die Lebensbedingungen haben sich natürlich stark verbessert in den letzten 100 Jahren. Man ist besser ernährt, man hat weniger schwere Krankheiten.
Kennt man weitere Umweltfaktoren, die den Eintritt der Menopause beeinflussen?
Es gibt Theorien, dass zum Beispiel die Einnahme der Pille einen Einfluss haben könnte. Sie sorgt dafür, dass weniger Eisprünge stattfinden, es gehen also während der Einnahmezeit quasi weniger Eizellen verloren. Allerdings ergeben die Studien zu dem Thema kein einheitliches Ergebnis – in meiner Arbeitsgruppe haben wir den Zusammenhang untersucht und keine später eintretende Menopause bei Frauen, die die Pille genommen haben, feststellen können.
Die Pille hat die Fortpflanzung einst für Frauen steuerbar gemacht, Sex und Fortpflanzung getrennt und damit quasi unsere Biologie überlistet – wäre das nicht auch für die Menopause möglich? Müssen sich Frauen wirklich mit ihr abfinden?
Was sollte man dagegen tun? Man kann nicht die Fähigkeit zur ewigen Fortpflanzungsfähigkeit erhalten. Wenn die Eizellen aufgebraucht sind, sind sie weg. Natürlich gibt es auch Frauen, die Östrogene und Progesteron nehmen und sich freuen, wenn sie Pseudoblutungen haben. Manchen gibt das ein Gefühl von anhaltender Jugendlichkeit. Manche Frauen wollen dieses Zeichen des Alters nicht haben – aber es ist nur eine Verschleierung der Menopause, die zwangsläufig jede Frau trifft.
Es sind immer wieder Frauen, in den Schlagzeilen, die in fortgeschrittenem Alter noch ein Kind bekommen.
Man kann natürlich vorzeitig Eizellen einfrieren lassen, dann kann man nach der Menopause vielleicht noch ein Kind austragen. Wir kennen diese Fälle, wo Frauen mit Eizellspende mit über 70 noch Drillinge bekommen. Aber das ist ja eine völlig unnatürliche Situation.
Ich zitiere mal die Gynäkologin und Bestsellerautorin Sheila de Liz: „Keine Frau muss da durch!“ schreibt sie in ihrem Buch. „Woman on fire. Alles über die fabelhaften Wechseljahre.“
Die Menopause ist ja nicht gleichzusetzen mit Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen und Ähnlichem. Der Begriff bezeichnet nichts anderes als den Zeitpunkt der letzten Menstruationsblutung und die Tatsache, dass man danach nicht mehr reproduktionsfähig ist. Welche Symptome damit einhergehen, ist individuell ganz unterschiedlich. Durch Hormontherapie können Frauen diese Probleme reduzieren. Das ändert aber nichts daran, dass die Frauen die Menopause erleben.
Befürworten sie die Hormontherapie?
Ich habe lange Zeit an einer Frauenklinik mit Gynäkologen zusammen gearbeitet. Da gab es sehr strikte Befürworter und andererseits auch diesbezüglich vorsichtige Mediziner. In den 1960er-Jahren hatte man begonnen, Frauen in den Wechseljahren Östrogen zu geben – in einer sehr hohen Dosierung. Das hat dann die Brustkrebsraten erhöht, aber inzwischen hat man die Hormondosierung stark reduziert. Man kann heute eine sehr gezielte und nebenwirkungsarme Hormontherapie machen, wenn eine Frau Beschwerden hat. Bei starken Symptomen würde ich zuraten, denn es macht keinen Sinn, sich Jahre seines Lebens mit Problemen herumzuschlagen, die die Lebensqualität stark reduzieren. Es geht ja nicht nur um Hitzewallungen, die Symptome reichen bis hin zu Depressionen, Gelenkschmerzen und in weiterer Folge zu Osteoporose und Gedächtnisproblemen. Aber nicht jede Frau braucht Hormone, wenn sie keine Symptome hat, die sie beeinträchtigen – die Menopause selbst ist keine Krankheit.
Aber sich jung fühlen will doch jeder – ist das keine gute Motivation für eine Hormontherapie?
Klar können Frauen sich durch Hormonpräparate mehr Vitalität und Jugendlichkeit erhalten. Das ist wirklich positiv, wenn man sich das wünscht. Aber ewige Jugend gibt es auch so nicht. Die Menopause ist für Frauen ein untrügliches Zeichen, dass ein gewisses Alter erreicht ist. In manchen Kulturen ist das ein Grund zum Feiern, etwa in Teilen Indiens. Die Frauen sind froh, dass sie nicht mehr ständig Kinder gebären müssen. Ihr Status in der Gesellschaft verbessert sich.
Warum?
In traditionellen Gesellschaften, etwa in Indien, werden junge Frauen oft bevormundet – von den Eltern und Schwiegereltern. Sie werden gedrängt zu Hause zu bleiben und ihnen wird kaum Freiraum gelassen. Außerdem wird die Menstruation oft als unrein angesehen – mit ihrem Ende werden Frauen weniger geächtet und können sozial aufsteigen. In früheren Zeiten gab es etwas ähnliches auch in Mitteleuropa. Es gibt Berichte, dass in Klöstern Nonnen nach der Menopause die Kommunion austeilen durften – etwas das sonst Männern vorbehalten war.
Wie hat sich das Leben mit der Menopause in Mitteleuropa gewandelt?
Ab dem 19. Jahrhundert haben wir Aufzeichnungen. Damals galt die Menstruation als eine Phase, in der Frauen hysterisch wurden. Oder Ärzte haben gemeint, dass es ja gut sei, dass die Frauen nicht mehr menstruieren, weil eine Phase von hormoneller Aufgeregtheit, vorbei ist. Für die Frauen damals war die Menopause sicher keine Phase, die sie gerne erlebt haben. Es war bestimmt kein Thema, was man wirklich besprochen hat.
Ist die Menopause immer noch zu sehr tabuisiert?
Sie ist nicht gerade häufig in den Schlagzeilen, aber sie ist heute sicher viel weniger tabuisiert als in früheren Zeiten. In den vergangenen Jahren sind viele Bücher zum Thema erschienen, mit denen sich Frauen ohne Fachwissen sehr gut über das informieren können, was mit ihrem Körper in der Menopause passiert – und das ist eine sehr gute Entwicklung.